MOUNTAIN-PEOPLE News - März 2019 33 - www.mountain-people.de - Outdoor - Hiking - Trekking - Wandern - Natur - Berge und mehr...

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Ein neues Fjällräven-Material ist geboren: BERGSHELL

Weil wir hohe Ansprüche an uns haben und stets danach streben, noch langlebigere und nachhaltigere Ausrüstung herzustellen, entwickeln wir immer mal wieder unsere eigenen Materialien. Bergshell ist eine solche Innovation – und so ist sie entstanden:

Von aussen wirkt es unscheinbar, aber der Eindruck täuscht. Innerhalb des grauen Gebäudes ist es sauber, geordnet und sorgfältig organisiert. Arbeiter streifen in der Werkshalle umher und kontrollieren die Maschinen. Im oberen Stockwerk gibt es schöne Konferenzräume, Büros und Testlabore, in denen die Fjällräven-Produktentwickler Niklas Kull und Svante Björkroth Details des neuen Materials namens Bergshell mit Charles Jwo, einem der Eigentümer der Ho-Yu Textile Company, besprechen.

Charles zeigt auf die verschiedenen Vorrichtungen des Labors: „hier wird die Abriebfestigkeit getestet – und hier die Reißfestigkeit.“ Die zwei Schweden freuen sich, denn die Prototypen des Materials fühlen sich so an, wie
sie es gehofft hatten und auch die Struktur entspricht ihren Erwartungen. „Uns ist wichtig, dass das Material der „Fjällräven-DNA“ entspricht. Man soll wissen, dass es ein Fjällräven-Material ist, auch wenn man das Logo nicht sieht“, erklärt Svante.

Die Diskussion geht weiter und dreht sich um immer komplexere Themen – Beschichtungen, Filamentgarn und Lufttexturierung. Das technische Know-how von Charles und seinem Team bei Ho-Yu ist unbestritten. Das ist auch einer der Gründe, weshalb wir uns dafür entschieden haben, bei der Produktion von Bergshell mit ihnen zusammenzuarbeiten. Ein weiterer Grund ist ihr Fokus auf Nachhaltigkeit.

Eine grüne Revolution
Ho-Yu wurde im Jahr 1964 von Charles‘ Vater und zwei seiner Freunde gegründet. Sie machten sich zu Nutze, dass die Textilindustrie im Westen rückläufig war und sahen Wachstumspotenzial im Osten. Unter anderem aufgrund des Standorts in Taipei City – in unmittelbarer Umgebung zu international ausgerichteten Unternehmen – entwickelte sich Ho-Yu rasch zu einer von Taiwans führenden Textilfabriken. In den 80er Jahren, nach einer besonders starken Taifunsaison, die eine Vielzahl an Überschwemmungen mit sich brachte, zog Ho-Yu in das heutige, großzügigere Gebäude in Guanyin um.

„Der Regen hatte große Überschwemmungen zur Folge“, erklärt Charles. „Ich kann mich erinnern, dass das Wasser aus unserer Fabrik, das giftige Chemikalien enthielt, auf den Reisfeldern und in lokalen Reservoirs landete. Daraufhin beschlossen mein Vater und seine Partner, den Standort der Fabrik zu verlegen. Sie wollten verhindern, dass die Gesundheit der Menschen gefährdet wird. Das war der erste Schritt auf unserer Reise zu mehr Umweltfreundlichkeit.“

Im Jahr 1987 war dies ein seltener – und geradezu mutiger – Schritt, vor allem in Asien. Zurückblickend macht es absolut Sinn. Und verglichen mit allem, was die Ho-Yu Textile Company heute in Bezug auf Nachhaltigkeit leistet, war es eine Kleinigkeit. Als Beispiel wäre das geschlossene System zu nennen, das die Abgase in der Werkshalle minimiert. Hinzu kommen wiederverwertbare Lösungsmittel für die Maschinen, mikrobisches Wasserrecycling vor Ort und die Nutzung von vorwiegend recycelten Materialien – sowohl Pre- als auch Post-Consumer-Materialien. Andere Methoden sind gewagt, so wie das Testen neuer Techniken zur Produktion mit geringem Energieverbrauch. Dabei investierten sie über eine Million Dollar in einen – gescheiterten – Versuch einer wassersparenden Einfärbetechnik. „Es hat nicht funktioniert, also war es im Endeffekt eine sehr teure Anlage. Trotzdem war es das wert. Wenn es funktioniert hätte, wäre es fantastisch gewesen. Stattdessen bereitet es uns jetzt immer noch Kopfschmerzen“, sagt Charles und lacht.

Wir steigen in Charles‘ Auto ein und fahren zur Ho-Yu Webfabrik, die nur fünf Minuten entfernt ist. 156 Maschinen machen hier Lärm. Die Webstühle kreisen rhythmisch und weben die Kettfäden in einen einzigen, langen Stoffballen. Es gibt kein traditionelles Weberschiffchen, das von links nach rechts rast. Stattdessen schießt ein Wasserstrahl über die Oberfläche. Dieses Verfahren erhöht den Output und verbraucht weniger Energie als herkömmliche Methoden. Das Ergebnis ist ein Stoff, der sowohl gleichmäßiger als auch hochwertiger ist – und einen konstanten Dampf-Geruch in der Fabrik verursacht. Das ist jedoch noch nicht alles. Um Bergshell herzustellen, hat Ho-Yu eine spezielle Technik für die Lufttexturierung benutzt. Dabei wird Luft über die Oberfläche der zwei Garne geblasen, während sie zusammen gewebt werden. Das wetzt und plustert den Stoff etwas auf. Man kann es nicht sehen, aber dies macht den Stoff abriebfester.

Ein Blick in die Vergangenheit
Vor ein paar Jahren begannen unsere Kunden uns zu fragen, wieso wir keinen wasserdichten Rucksack im Sortiment haben. Unsere Antwort: Die Kombination aus G-1000 Heavy Duty und einer Regenhülle bot genug Wetterfestigkeit für die meisten Wanderungen. Dann kam Bergtagen.

Bergtagen ist unsere Mountaineering-Kollektion und ein Lagensystem – von Isolationsschichten aus Wolle bis hin zu synthetischem Isoliermaterial und wasserdichten Eco-Shell Produkten. Als wir die Kollektion im September 2017 auf den Markt brachten, enthielt sie noch keinen Rucksack – und das fühlte sich irgendwie unvollständig an und es fehlte etwas im System.

Vergleichbare Fjällräven-Rucksäcke  waren damals nicht robust und wasserdicht genug für anspruchsvolles alpines Gelände. Also begannen unsere Designer ihre Suche und stellten sich einer gewaltigen Herausforderung. Wasserdichte Materialien zu finden, war nicht das Problem. Die gewünschte Langlebigkeit zu bekommen, war auch nicht schwierig, aber ein Material zu finden, das beides vereint und dann noch die Nachhaltigkeitsstandards von Fjällräven erfüllt, war eine Mammutaufgabe.

„Wir wussten, dass Baumwolle nicht gut genug war“, erklärt Svante. Sogar G-1000 HeavyDuty war nicht robust genug für raue, alpine Landschaften. Die wasserdichten Materialien, die wir uns anschauten, waren zu glänzend und grell für Fjällräven – und nicht ausreichend strapazierfähig. Außerdem mussten wir einen Zulieferer finden, der unsere Vision der Nachhaltigkeit teilte. Wir können nicht einfach ein funktionelles und langlebiges Material produzieren. Die Fjällräven Designrichtlinien geben vor, dass unsere Materialien auch nachhaltig sein müssen.“

Hier kam Ho-Yu ins Spiel. Svante, Niklas und Charles sind jetzt im Konferenzraum. Verschiedene Stoffe liegen verteilt auf dem Tisch. Für den Laien wirken sie fast identisch. Es gibt jedoch feine Unterschiede: die Beschichtung, das Gewicht und die Stärke. Niklas spricht darüber, wie das Material aussieht und sich anfühlt. Er zerknüllt es, verdreht es und zieht es auseinander. Dann betrachtet er die Beschichtung, reibt mit der Hand darüber und fragt Charles nach der Wasserdichtigkeit. Svante hingegen interessiert sich als Einkäufer mehr für die Kosten. Er muss wissen, was alle Teile insgesamt kosten werden. Er tritt rational und wohlüberlegt auf und ist dabei höflich, aber standhaft. So sieht Zusammenarbeit aus.  Die Fjällräven-Designer sagen Ho-Yu und ihren Partnern nicht einfach, was sie zu tun haben und Ho-Yu produziert nicht einfach ein Material und verkauft es an uns. Es ist ein Prozess, der lange Telefonate, Skype-Meetings, viele E-Mails und sogar Besuche der Fabrik in Taiwan mit sich bringt.

Entscheidungsprozess
Das Design-Team sucht zunächst nach einem Partner – einer Firma, die unsere Nachhaltigkeitsvision teilt, aber auch in der gewünschten Qualität und in den benötigten Mengen produzieren kann. Sobald dieser Partner gefunden ist, beginnen die Meetings. Können wir gut zusammenarbeiten? Wie würde die Beziehung in der Praxis aussehen? Können sie liefern, was sie versprechen – und das zu einem guten Preis? Und werden auch unsere anderen Zulieferer, die die Materialien für unsere Produkte weiterverarbeiten, gut mit ihnen zusammenarbeiten können? Am Anfang stehen immer eine Menge Fragen. Die Antworten darauf zu finden, braucht Zeit.

Als nächstes folgt die Prototypentwicklung.  Bergshell ist ein komplett neues Material, sowohl für Fjällräven als auch für Ho-Yu. Es ist aus recyceltem Nylon gefertigt – ein Material, mit dem Ho-Yu schon seit über einem Jahrzehnt arbeitet. Das Neue daran ist die Kombination aus der Beschichtung und der luftdurchlässigen Ripstop-Konstruktion. Das Zusammenspiel dieser Faktoren ergibt Bergshell.

Wenn das Fjällräven-Team zufrieden mit dem Material ist, können sie damit erste Produkte herstellen, in diesem Fall Rucksäcke. Daraufhin werden diese Produkte von Fjällräven in einem intensiven Testprozess auf die Probe gestellt. Das Feedback und die Verbesserungsmöglichkeiten werden kontinuierlich an Ho-Yu und die Teams in Vietnam weitergegeben, die unsere Rucksäcke mit Bergshell herstellen. So geht es viele Monate lang hin und her – E-Mails, Telefonate und Meetings. Schließlich einigt man sich, ein Lächeln macht sich auf den Gesichtern breit und es werden Hände geschüttelt.

„Es ist ein andauernder Verbesserungsprozess“, erklärt Niklas. „Wir fordern sie zur Bestleistung heraus. Gemeinsam finden wir heraus, was möglich ist. Denn nur gemeinsam können wir das bestmögliche Ergebnis erzielen.“

Auf die Details kommt es an
Das daraus entstandene Material ist etwas ganz Besonderes. Bergshell verfügt über eine flache Ripstop-Konstruktion. Herkömmliche Ripstop-Stoffe haben eine unebene Oberfläche, bei der die BERGSHELL Ripstop-Fasern leicht erhöht und so Stößen und Kratzern ausgeliefert sind. So wird das darunter liegende Filamentgarn geschützt, aber die Ripstop-Fasern nutzen sich schneller ab. Durch die flache Ripstop-Konstruktion von Bergshell hingegen wird die Abnutzung gleichmäßig auf die gesamte Oberfläche des Stoffes verteilt, sodass der Stoff insgesamt viel widerstandsfähiger wird.

Um dies zu erreichen, wurde ein glattes Filamentgarn mit einem luftdurchlässigen Garn kombiniert. Das glatte Garn hat eine hohe Reißfestigkeit, ist jedoch nicht so abriebfest. Genau das Gegenteil gilt für das luftdurchlässige Garn. Wie zuvor beschrieben, sorgt die Lufttexturierung für eine fusselige Oberfläche mit verbesserter Abriebfestigkeit, die jedoch die Reißfestigkeit beeinträchtigt.

Durch die Beschichtung mit einem TPU Laminat wird das Material wasserdicht (bis zu 10.000 mm). Das Garn ist aus recyceltem Nylon (31%) gefertigt, welches mit dem Global Recycled Standard (GRS) zertifiziert wurde. Wie gesagt, es ist etwas ganz Besonderes.

„Wir sind sehr stolz auf das Ergebnis“, sagt Niklas. „Unser Ziel war es, mit Bergshell einen wasserdichten Stoff zu schaffen, der unserer Fjällräven-DNA entspricht. Das haben wir geschafft. Wir wissen jedoch, dass wir sogar einen Schritt weiter gegangen sind und wirklich die Möglichkeiten von dem ausgereizt haben, was wir für möglich hielten. Das Material besteht nicht nur aus recyceltem Nylon, sondern ist so abrieb- und reißfest, dass es sehr lange halten wird. Auch das Feedback, das wir von den Bergführern erhalten haben, die das Produkt getestet haben, war großartig. Wir sind sehr zufrieden.“

Niklas hat mit Bergshell eine Reihe von technischen Rucksäcken entwickelt. Der erste, Bergtagen, ist Teil der Mountaineering-Kollektion. Der zweite, Keb, wurde für Langstreckenwanderungen entwickelt. Der Dritte ist Teil
einer neuen Serie mit dem Namen Ulvö, einer Kollektion an kleinen bis mittelgroßen Tagesrucksäck – unter anderem mit einem Rolltop-Verschluss, die komplett wasserdicht sind.

Wir verlassen den Konferenzraum und gehen durch die Fabrik. Große, sperrige Stoffballen in einer Vielzahl an Farben sind vor einer Wand aufgestapelt und bilden einen Kontrast zum grauen Beton. Knöpfe, Schalter und Räder sind die einzigen Details, die sich von der Einheitsmasse aus Maschinen abheben. Hinter der glatten, unscheinbaren Fassade liegt ein komplexes Zusammenspiel aus Kabeln, Zahnrädern und Spulen – eine Metapher für Bergshell. Von weitem sieht es aus wie jedes andere Fjällräven-Material: matt, leicht strukturiert, griffig. In der Nahaufnahme ist der „Zauber“ zu erkennen, der das Material ausmacht, wie Niklas so schön sagt. Bewegst du den Stoff im Licht, siehst du die Fasern, die sich in verschiedenen Richtungen kreuzen. Berührst du ihn, kannst du den luftdurchlässigen Ripstop spüren. Nachdem du ihn in der Natur verwendet hast, wirst du Bergshell garantiert treu bleiben.


Weitere Informationen unter www.fjallraven.de

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